Faema e61

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Ein Chromkörper, der jeden Harleyfahrer neidisch werden lässt, darunter mehr Watt als in unserer Soundanlage und dann doch nur eine Leistung von 35 Milliliter in 28 Sekunden. Aber mehr braucht es nicht für den perfekten Espresso. Und ein paar hundertausend, vielleicht sogar schon viel mehr, hat unsere e61 in ihren vielen Dienstjahren zubereitet – aus heutiger Sicht bald 44 Jahre seit dem 12. November 1964. An diesem Tag wurde unsere Faema von stolzen Arbeitern vor die Tore des Faemawerks in Binasco bei Mailand in die Sonne geschoben. So stellen wir uns das zumindest gerne vor – in den Kessel der Maschine ist auf jeden Fall dieses Datum geprägt.

e61-Praegung

Weit oder gar über die Grenze konnte sie aber nicht gekommen sein, da an diesem Tag in Italien die Eisenbahner und Zöllner streikten. Und in der Tat hat sie sich lange Zeit auch nicht weit von ihrem Geburtsort entfernt. 2004 haben wir sie in Finale-Ligure, gerade einmal 200 Kilometer von Mailand entfernt von einem Campingplatz geholt. Wer jetzt denkt, dass ein Campingplatz keine passende Umgebung für einen gepflegten Espresso ist, der soll kurz gedanklich Platz nehmen auf einer an einem Hügel gelegenen Terrasse und den Blick über einen kleinen, sehr italienischen Ort hinaus auf den Golf von Genua schweifen lassen. Eben. Die eigentliche Geburtsstunde der e61 war aber, wie der Name verrät, schon 1961. In diesem Jahr wurde die erste Maschine dieses Typs produziert.

Und weil die revolutionäre Technik der Maschine einen großen Namen brauchte, benannte man sie nach einem Jahrhundertereignis. e steht für eclissi (solare), was nicht zufällig dem englischen eclipse (of the sun) ähnelt und eben Sonnenfinsternis bezeichnet. In diesem Fall die eclissi solare totale am 15. Februar 1961 über Norditalien. Dabei lag Mailand gar nicht im Kernschatten, denn der zog ein paar Kilometer südlich vorbei und das ziemlich genau über Finale-Ligure. Da war es für zwei Minuten auch auf der schönen Terrasse des Campingplatzes zappenduster. À propos düster. Düster war es im Februar 1961 auch in Afrika – politisch gesehen. Da wurde nämlich bekannt, dass Patrice E. Lumumba umgebracht wurde. Bei Lumumba denkt jeder wahrscheinlich zuerst oder überhaupt nur an eine heiße Schokolade mit Rum. Dabei war Lumumba eine der wichtigsten Persönlichkeiten und Symbolfigur im Kampf Afrikas um Unabhängigkeit und gegen den Imperialismus. Unter seiner Führung konnte der Kongo 1960 politische Unabhängigkeit von Belgien erlangen, was Belgien und den USA nicht so gefallen wollte. Und so führte eines zum anderen. Lumumbas Leiche wurde nie gefunden. Was das alles mit der Faema zu tun hat? Wir bereiten auch heiße Schokolade zu und das eben mit der Dampfdüse unserer e61.

Faema e61 Pellini Espresso

Aber unsere Schokolade heißt “Cho”. Das klingt jetzt fast wie ein anderer unglücklicher Freiheitskämpfer, aber das würde zu weit führen. Zumindest hat der es auf T-Shirts geschafft. Egal. Eine Schokolade mit Rum bereiten wir natürlich auch zu, aber das hieße dann Cho mit Rum oder cho con rum für die Italiener oder Africa libre für die Bobos. Aber niemals Lumumba. Aber die e61 ist als innovative Espressomaschine berühmt geworden und nicht wegen der Schokolade. Ein paar technische Details werden heute noch nachgebaut, die auffälligste Änderung aus damaliger Sicht aber war das Fehlen der großen Hebel, mit denen bis dahin der Druck für den Espresso erzeugt wurde.

faema president in der philiale gartenbaukinoSo wie das bei noch ihrer Vorgängerin, der Feama President funktioniert – zu besichtigen und zu testen in der philiale im Gartenbaukino.

Die e61 hat also eine elektrische Pumpe die für konstanten Druck auf das Kaffeemehl sorgt. Und das Wasser für den Espresso kommt frisch aus der Leitung und wird nur über Wärmetausch im Kessel erhitzt. Gesteuert wird das einfach über einen kleinen Hebel – und natürlich die Erfahrung des oder der Barista. Nokia hat übrigens auch ein e61 – das hat im vergleich zu unserer Faema aber wirklich viele Tasten und ist eher der komplizierte Typ (im Übrigen wird in 40 Jahren auch sicher niemand mehr an das Nokia e61 denken, geschweige denn einen Artikel im Internet posten – sofern es das dann überhaupt noch in einer Form gibt, die posten zulässt.). Die Faema hat nicht einmal einen ein/aus-Schalter. Der wäre auch völlig überflüssig, weil sie ohnehin rund um die Uhr in Betrieb ist.

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Das mag nach Stress klingen, für die Faema ist das eher umgekehrt. Ihr würde vielmehr das regelmäßige ein- und ausschalten Stress bereiten. Zudem kann so der- oder diejenige, der/die unseren Laden um zehn aufsperren muss, als erstes selbst ohne Wartezeit einen guten Espresso trinken. Und das macht unsere MitarbeiterInnen glücklicher. Böse Zungen werden behaupten, dass sie glücklich und munter auch mehr und schneller arbeiten. Und daran ist sogar etwas dran. Unsere moderne Gesellschaft ist nämlich auf zwei Säulen aufgebaut. Nein, nicht Ausbeutung und Unterdrückung, sondern Erdöl und Kaffee. Obwohl wir damit wieder bei Ausbeutung und Unterdrückung sind. Aber egal. Dass Erdöl der im Welthandel wichtigste Rohstoff ist, kann man noch erraten. Dass Kaffee der zweitwichtigste Rohstoff ist mag den einen oder die andere jetzt vielleicht überraschen. Aber wichtiger als der rein monetäre Wert der Ware ist der Einfluss des Koffeins auf unsere Leistungsfähigkeit. Was für die Maschinen das Erdöl ist, ist für die Maschine Mensch der Kaffee. Erst mit der massenhaften Kultivierung und Versorgung der arbeitenden Bevölkerung mit Kaffee konnte die Produktion rund um die Uhr am laufen gehalten werden.

Dass letzteres etwas mit der Erfindung des elektrischen Lichts zu tun hat ist eben nur die halbe Wahrheit. Jede/r der/die schon einmal vor einem laufenden Computer eingeschlafen ist, wird bezeugen können, dass Licht alleine nicht ausreicht. Und doch hat es was mit Licht zu tun. Serotonin heißt der Botenstoff im Hirn der uns glücklich macht. Licht verlangsamt den Abbau von Serotonin. Kein Licht macht daher traurig, was man im Herbst und Winter in Wien auch schnell gelernt hat. Koffein (und Zucker) fördern das Serotonin und gleichen daher das fehlende Licht aus. Deshalb trinken die Finnen auch am meisten Kaffee – ca. elf Kilo verbrauchen sie pro Kopf und Jahr. Die Italiener, die zwar den Genuss kultiviert haben, aber dank der eindeutig besseren Lichtverhältnisse nicht auf die Wirkung des Koffeins angewiesen sind verbrauchen gerade fünf Kilo. Und sie trinken Espresso, der circa zwei Drittel weniger Koffein hat als Filterkaffee. faema eddy merckxDanenben hat Koffein je nach Dosis noch andere stimulierende Einflüsse auf Psyche und Kreislauf, weshalb auch Sportler vor einem Wettkampf gerne die eine oder andere Tasse Kaffee mehr getrunken haben. Irgenwann soviel, dass Koffein bis 2004 auf der Dopingliste des Internationalen Olympischen Komitees stand. Dass gerade Faema lange Jahre Sponsor eines der erfolgreichsten Radteams war, hat mit Koffein-Doping aber sicher nichts zu tun. Eddy Merckx, mehrfacher Tour de France Sieger und der wohl bekannteste Fahrer des Faema-Teams, war angeblich auf Kortison unterwegs.

Tobias Radinger

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